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Bild 'kaiser01'

Die Quest#

(Zu Marcus Kaiser)#

Von Martin Krusche#

Wenn es läuft, dann läuft es. Das könnte man für eine unerhebliche Aussage halten. Ich hab freilich ein Faible für Umgangssprachliches, das manchmal auf etwas grobe poetische Art Verständlichkeit herstellt, die sich in so einem knappen Sätzchen zeigt. Ja, es läuft!

Vorausgeschickt sei, daß meine bevorzugte Kunsttheorie von Boris Grois stammt, der eine sehr dynamische Situation beschreibt. In solcher Dynamik finde ich mich gut zurecht. Dinge, Werke, Prozesse können valorisiert, also aufgewertet werden. Dann landen sie in unseren Archiven der Kultur, werden zum Beispiel als Kunstwerke ausgewiesen. Sie können aber auch wieder trivialisiert werden, um in die Welt des Alltags zurückzugelangen. All das bleibt in Bewegung.

Und nun Marcus Kaiser zu einer seiner Arbeiten: „ausgehend von einigen grundelementen ist der zustand offen und kann sich verschiedenen gegebenheiten anpassen, wie einer galerie/ausstellungssituation, dem öffentlichen raum oder extremsituationen wie einer installation im pantanal oder dem ruwenzorimassiv.“ So in „OPERNFRAKTAL ( t / x / y )“

Dynamisches#

Na klar lese ich das in genau so einem dynamischen Sinn. Seit wir unseren „Indoor-Wandertag“ in den Hallen der vormaligen Textilfabrik Borckenstein (in Neudau) absolviert haben, hängt mir ein flüchtiger Eindruck davon an, was Marcus mit seiner Arbeit meint und tut.

Erst einmal war auffallend, daß wir in diesem endlos scheinenden Hallenkomplex mehrmals aneinanderstießen oder wenigstens im selben Sektor gelandet sind, um ein bestimmtes Motiv zu fotografieren, das uns gleichermaßen anziehend erschien. Nun sehe ich allerdings durch einige von Kaisers ersten Entwürfen, wie er darauf mit seinen künstlerischen Mitteln reagiert hat.

Das ergab ein kleines Erschrecken, weil deutlich wurde, daß er unsere Eindrücke auf einem Level beantwortet, welches mir so nicht zugänglich ist. Verstehen Sie mich recht, das ist jetzt kein Problem, sondern bloß der Ausdruck eines Moments von nächsten Klarheiten. Ich arbeite gerne mit Leuten, die in einem Bereich nennenswert mehr können als ich. Mein kleines Erschrecken, wie ich es vorhin erwähnt habe, bedeutet ja bloß, daß ich mich in unserem Ensemble anders aufstellen muß. Das handelt unter anderem vom Wesen einer kollektiven Wissens- und Kulturarbeit. Wir wirken aufeinander ein und es hat Konsequenzen.

Operare#

Von den radikalen Konstruktivisten haben wir die Vorstellung angeboten bekommen, daß es Autopoiese gebe, daß also etwas quasi von sich heraus entstünde, wenn Komponenten da sind, die miteinander wirksam werden können. „Wie von selbst“ wäre freilich eine sehr anthropozentrische Deutung. So also könnte/sollte etwas eigentlich nur entstehen, wenn es von Menschen intendiert und herbeigeführt wurde, wahlweise – entlang unserer Mythologien – aus „Gottes unergründlichem Willen“ entsprungen ist.

Die Welt ist freilich größer, vom Universum ganz zu schweigen. Von Aristoteles ist uns die Unterscheidung zwischen Virtuellem und Aktuellem überliefert. Das Mögliche und das, was der Fall ist. Gut, so weit muß ich nicht alle Tage ausholen. Marcus Kaiser schrieb mir eben: „Das ‚operare‘ - das Verwickeltsein, das Tätigsein (in der jeweiligen Dimension)…“ So erlebe ich ja menschliche Gemeinschaft in vielen Momenten.

opernfraktal (exposition/'besiedelung'), entwurf 9/2022
opernfraktal (exposition/"besiedelung"), entwurf 9/2022

Wenn ich wenigstens bei einem Teil der Menschen Wissensdurst und Tatendrang als eine unverzichtbare Eigenschaft annehmen darf, kommen Dinge in Gang. Dann entsteht etwas. Das bedarf keineswegs immer eines Konzeptes, einer Willenserklärung und eines konkret formulierten Ziels.

Die Quest#

Ich mag die Idee von der Quest, der Abenteuerreise, die einem Erkenntnis verspricht. Da ist nichts vorgegeben. Es ereignet sich und ich kläre anschließend meine Beziehung zu diesen Ereignissen. Eine alte Empfehlung kautet, Erkenntnis möge sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. (Ich deute das als die Unterscheidung zwischen Grundlagenarbeit und angewandten Arbeiten.)

In der Antike wußte man die Muße als absichtsloses Schauen zu verstehen. Ein nicht Zielgerichtetes, das für sich Wert und Relevanz hat. (Später wurde diese Haltung als „Müßiggang“ und als „aller Laster Anfang“ denunziert.)

Ich will solche Angelegenheiten mit Leuten weder debattierten, noch will ich es gegen übliche Verwertungslogik verteidigen. In der Kunstpraxis sind derlei Zusammenhänge selbstverständlich. Ich sehe, daß Kaiser sein Handwerk versteht. Wer dem nichts abgewinnen kann, darf sich jederzeit banaleren Praktiken widmen, die leichter zu entschlüsseln und zu verstehen sind.

Das Triviale funktioniert üblicherweise weitgehend pannenfrei, belästigt einen nicht mit Erkenntnis, stört jene Alltagsabläufe kaum, die sich viele Menschen wünschen: frei von Unwägbarkeiten, frei von Behelligung.

Aber das ist eben nicht die Quest, sondern das Zuhausebleiben. Ich kann mich mit diesen Formen in der Welt zu sein nicht befassen. Es sind ohnehin ausreichend populäre Konzepte etabliert, mit ihren Legionen von Anhängern in Arbeit, betreut von lebhaften Proponentinnen, die kümmern sich um eine Sicherstellung des Banalen. Wir aber haben andere Aufgaben. (Ich sage nicht „wichtigere Aufgaben“, sondern bewußt: andere Aufgaben.)

labyrinth / an einem ort - an einem anderen ort
labyrinth / an einem ort - an einem anderen ort

Konzentrische Kreise#

Ich konnte inzwischen meinen Part innerhalb unseres Gesamtvorhabens in (m)einer „Landkarte der Bedeutungen“ etwas klarere herausarbeiten. Das ist im Augenblick nur für mich bindend und damit ein Angebot an die übrige Reisegesellschaft. Diese „Landkarte“ sehe ich als Anordnung konzentrischer Kreise, welche beweglich sind. Nun schrieb mir Marcus Kaiser dazu:

„Dein Bild der konzentrischen Kreise lässt sich für mich sehr gut in meiner ‚fraktal‘ Metapher verstehen. Von Vorteil dabei scheint mir: Sie entbehrt ein ‚Zentrum‘; und die Dichotomie ‚Zentrum + Peripherie (Provinz)‘ wird transformiert in eine Bestimmung des Maßstabes/der ‚Entfernung‘ - der Relation. Das ‚operare‘ - das Verwickeltsein, das Tätigsein (in der jeweiligen Dimension) - könnte dann vielleicht den Mittelpunkt ersetzen ohne in eine unendliche Unverbindlichkeit der Selbstähnlichkeit abzudriften.“

Zu Marcus Kaiser#

„ausgehend von einigen grundelementen ist der zustand offen und kann sich verschiedenen gegebenheiten anpassen, wie einer galerie/ausstellungssituation, dem öffentlichen raum oder extremsituationen wie einer installation im pantanal oder dem ruwenzorimassiv.“ (Quelle)