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Maria Mustapic - Günter Fuhrmann: Rundumadum: Geheimnisse der Inneren Stadt#

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Maria Mustapic - Günter Fuhrmann: Rundumadum: Geheimnisse der Inneren Stadt. Verborgene Orte im alten Wien. Kral Verlag Berndorf. 176 S. , ill., € 19,90

Ganze Bibliotheken könnte man mit Büchern füllen, die den Straßen, Gassen und Plätzen (der Inneren Stadt) gewidmet wurden. … Trotzdem sind noch immer nicht alle Geschichten über diese Stadt erzählt. … Wir, die Autoren dieses Buches, kennen die touristische Titelseite Wiens. Wir sind "geprüfte Fremdenführer", die den Gästen der Stadt in meist sehr kurzer Zeit nicht nur die Sehenswürdigkeiten, sondern auch Seele und Charakter Wiens vermitteln sollen. Die Highlights zwischen Stephansdom und Hofburg sind relativ rasch erledigt, wahrscheinlich wären die meisten Touristen auch mit ein paar Zahlen und Fakten, garniert mit putzigen "Gschichterln" zufrieden. Doch vom Genius loci Wiens erfährt man dann nichts. Genau darum geht es aber den Autoren, bei der rein subjektiven Auswahl, die sie für ihr Buch getroffen haben. Die beiden sind nicht nur Fremdenführer. Maria Mustapic, die den Beruf seit einem Jahrzehnt ausübt, hat Geschichte studiert. Der Jurist und Kulturmanager Günter Fuhrmann hat viel Erfahrung als Ausstellungs- und Museumsmanager. Beide sind auch als Autoren und bei der ORF-Serie "Erbe Österreich" engagiert. Ihr Innenstadtführer unterscheidet sich wohltuend von anderen. Es bleibt nicht bei der plakativen Oberfläche, sondern lotet die Tiefe des historischen Kontextes aus.

Besonders deutlich wird das beim längsten Kapitel, Viel mehr als eine Spargelburg von Günter Fuhrmann. Er verfasste sechs der 13 Artikel - u. a. über Maria am Gestade, Dorotheergasse, Rauhensteingasse und Hotel Royal. Umfassend hat der Autor über die Herrscherdynastie Sachsen-Coburg und Gotha sowie Koháry geforscht. Das Palais Coburg auf der nach ihm benannten Bastei ist - wegen der vielen schlanken Säulen an seiner Fassade - als "Spargelburg" bekannt. Diese Bezeichnung hat in den letzten Jahren einen neuen Sinn bekommen. Zur Luxus-Hotelresidenz zählt ein Gourmetrestaurant. Ihr "Weinarchiv" umfasst sechs Keller, in denen 60.000 Flaschen edelster Weine lagern. Sie befinden sich in den Kasematten der ehemaligen Braunbastei, dem größten erhaltenen Überrest der Wiener Stadtbefestigung. Zur Zeit der zweiten Osmanischen Belagerung galt Wien als eine der stärksten Festungen Europas. Wenige Jahre vor dem Fall der Basteien und der Anlage der Ringstraße, ließ die Familie Coburg-Kohári auf der Braunbastei ihr Palais bauen, doch stand es lange leer. Die Geschichte seiner Bewohner liest sich spannend wie ein Krimi, ebenso die Revitalisierung um die Jahrtausendwende. Eine Privatstiftung rettete das Baujuwel, nachdem es als Spekulationsobjekt verwertet werden sollte. Sie ließ die desolaten Prunkräume rekonstruieren und die für Wien einzigartigen Kasematten zugänglich machen. Nun ist das Palais nicht nur ein 5-Sterne-Hotel, sondern auch Austragungsort internationaler Konferenzen mit höchster Sicherheitsstufe, wie 2014/15 bei der Atomkonferenz.

Verschwunden ist hingegen eine ganze Verkehrsfläche, der Stock-im-Eisen-Platz. Zählt man Ende des 15. Jahrhunderts noch gut 25.000 Bewohner, so verdoppelt sich deren Zahl um 1600 auf 50.000. Zur Zeit Maria Theresias drängen sich (in der Innenstadt) ca. 75.000 Menschen auf engstem Raum. … Genau in der Mitte dieser übervollen Stadt lag der dreieckige Stock-im-Eisen-Platz. … Die Nordspitze des Dreiecks reichte bis zur Maria-Magdalena-Kapelle am Stephansfreithof … 1881 war man mit der Neuordnung der Mitte Wiens noch nicht viel weiter gekommen. Der Stock-im Eisen-Platz war mit dem Graben verbunden, doch Richtung Stephansplatz versperrten noch die Häuser "Lazansky" und "Goldener Becher" den Blick. … Bei den Regulierungsarbeiten stürzte dieses ein und eine Person kam ums Leben. Das Lazansky-Haus, eines der schönsten barocken Bürgerhäuser Wiens, blieb vorerst stehen. Sein Abriss führte 1895 zu heftigen Diskussionen, doch setzten sich die Denkmalpfleger nicht durch. Seit 1890 dominiert das Palais Equitable den Stock-im-Eisen-Platz. "Der neueste Prachtbau Wiens" war der Firmensitz der amerikanischen Lebensversicherung Equitable. Die Fassade ist mit dunklem, rosa und rotem Granit verkleidet und mit Bronzereliefs verziert. An der Hausecke fand der alte "Stock im Eisen" einen neuen Standort. Die Fichte mit zwei Wipfeln wuchs um 1400, das Eisenband, das sie umschließt, trägt die Jahreszahl 1575. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert war die Benagelung von Bäumen durch wandernde Handwerksgesellen Brauch. Sagen und nicht minder phantasievolle Theorien ranken sich um die Fichte. Am bekanntesten ist die Geschichte des Schlossergesellen, der einen Pakt mit dem Teufel einging und von diesem geholt wurde, als er die Sonntagsmesse versäumte. Im romantischen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts scheuten sich "Wissenschaftler" nicht, den Nadelbaum als "'heilige Eiche" und "Opferstätte" zu interpretieren.

So genannte Wissenschaft beschäftigte auch Kaiser Franz Stephan von Lothringen, den Gemahl Maria Theresias. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, baute in Ungarn ein Zentrum der Textilmanufaktur auf und verwaltete sein Vermögen klug. Trotzdem beschäftigte er sich mit Alchemie. In Unkenntnis, dass es sich bei Diamanten um eine Modifikation von Kohlenstoff handelt, machte er Experimente zu deren Brennbarkeit und Schmelzung. Belege dafür lassen sich heute in der mineralogischen Abteilung des Naturhistorischen Museums bestaunen: angekohlte Diamanten. Außerdem schreibt Maria Mustapic: Seine Diamantankäufe sowie die Rechnung für einen der weltgrößten metallischen Brennspiegel sind in den Haushaltsbüchern dokumentiert. Möglicherweise befand sich das kaiserliche Alchemistenlabor im Labyrinth der zweigeschossigen Keller des "Kaiserhauses", Wallnerstraße 3. Dort entdeckte man einen überkuppelten Raum mit einem Schlot und ein vermutliches Wasserreservoir. Das Kaiserhaus stand im Besitz der Grafen Lamberg-Sprinzenstein. Carl Joseph ließ es 1730 (vielleicht nach Entwürfen Joseph Emanuel Fischers von Erlach) erneuern und verkaufte es 1740 an Franz Stephan von Lothringen. Hier konnte sich der Kaiser, losgelöst vom Zeremoniell in der Hofburg, seinen Finanzgeschäften und Hobbies widmen, Vertraute und Freundinnen empfangen.

Weitere Beiträge der Autorin beschäftigen sich mit Graffiti im Dom, aus dem 15. Jahrhundert, wobei man Einblick in das mittelalterliche Studentenleben erhält, dem Akademischen Gymnasium und verschiedenen Persönlichkeiten. So lernt man Kolschitzkys Geniestreich kennen, der keineswegs in der Entdeckung des Kaffees für Wien bestand, auch wenn die Cafétiers den Mythos ihres Patrons am Köcheln halten. Seine Sprachkenntnisse (Polnisch, Rumänisch, Deutsch und Türkisch) ließen den Dolmetscher Jerzy Franciszek Kulczycki zu einem verkleideten Kurier werden, der sich zweimal mit geheimen Botschaften für das Entsatzheer durch das osmanische Lager aufmachte. Selbstbewusst nutzte er seinen Erfolg: Er ließ in der noch besetzten Stadt eine Druckschrift anfertigen, die in fulminanten Tönen von seinen unglaublichen Heldentaten berichtete und ihn zum Retter des Abendlandes stilisierte. " Das von einem Journalisten verfasste Flugblatt wurde überall in Wien angeschlagen und in ganz Europa nachgedruckt. Andere Kapitel berichten von Familiengeheimnissen rund um Alban Berg, Marc Twains Erlebnissen im Reichsrat und Hollywood am Fleischmarkt. Hier geht es um den 1906 in der Ukraine geborenen Samuel Wilder. 1914 floh sein Vater, ein Hotelmanager, mit der Familie nach Wien, wo sie acht Jahre am Fleischmarkt wohnte. Eine Gedenktafel erinnert daran. "Seinen Spitznamen hatte Billy übrigens seiner Mutter zu verdanken. Sie liebte Amerika und besonders Buffalo Bill … so erweckte sie … eine Affinität für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. 1933 emigrierte Wilder nach Paris und in die USA. Erst 1994 besuchte er seine alte Heimat. … Der Fleischmarkt hatte sich in seiner Abwesenheit nicht wesentlich verändert. Im Laufe der Geschichte allerdings hat die Straße vieles erlebt, unzählige Berühmtheiten beherbergt und gilt als Geburtsstätte der österreichschen Kaffeerösterei Julius Meinl.

hmw