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Die Kosaken#

Die Kosaken waren Gemeinschaften freier Reiterverbände, zu denen sich flüchtige russische und ukrainische Leibeigene, manchmal auch Abenteurer oder anderweitig Abtrünnige, in den südlichen Steppengebieten zusammenschlossen. Der Name Kosak stammt aus den Turksprachen und bedeutet in etwa „freier Krieger“. Er ist etymologisch, jedoch nicht inhaltlich mit den Kasachen verwandt.

Die slawischen Kosaken gründeten ab dem 16. Jahrhundert eigene Siedlungen und Gemeinschaften und wurden zu Wehrbauern, die sich gegen die häufigen Überfälle asiatischstämmiger Reiternomaden (vor allem Krimtataren) verteidigen mussten. In der Ukraine bildete sich im 17. Jahrhundert das quasistaatliche Kosaken-Hetmanat heraus, das gegen die polnische Herrschaft kämpfte und später als Autonomie ins Russische Zarenreich einging. Bis zum 18. Jahrhundert waren sowohl russische als auch ukrainische Kosaken vom Zarenreich teilweise unabhängig, dann wurden sie nach und nach als freie Kavallerieverbände in die russische Armee integriert. Hauptsiedlungsgebiete der Kosaken waren das Don-, das Dnipr- und das Ural-Gebiet.

Traditionell sind die Kosaken hierarchisch unter Atamanen oder Hetmanen organisiert. Die Kosaken spielten eine maßgebliche Rolle bei der russischen Eroberung und der Erschließung Sibiriens sowie des Nordkaukasus.

Kosaken in der Deutschen Wehrmacht#

Viele Kosaken sympathisierten wegen ihrer antibolschewistischen Einstellung für das nationalsozialistische Deutschland, das sie als Bollwerk gegen Stalin betrachteten. Im Vorrücken der deutschen Wehrmacht glaubten sie eine Möglichkeit zu erkennen, alte Rechte und Privilegien wieder zu gewinnen bzw. die orthodoxe Religion wieder offen bekennen zu können. Deshalb boten sie in der zweiten Jahreshälfte 1941 dem Nazi-Regime ihre Dienste an.

Am 22. August 1941 lief das sowjetische 463. Infanterieregiment unter Iwan Kononov, einem Donkosaken, fast geschlossen zur Wehrmacht über und wurde von der Heeresgruppe Mitte als Kosakenabteilung 600 für Sicherungsaufgaben und zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Während der Sommeroffensive der Wehrmacht 1942 billigte Hitler den Einsatz von Kosakenverbänden nicht nur bei der Partisanenbekämpfung, sondern auch an der Front. Mit Hilfe von 25.000 Freiwilligen sollte ein großer kampfstarker Verband geformt werden.

Ein Kosake leistet den Eid auf Hitler
Ein Kosake leistet den Eid auf Hitler.
Foto:[Unknown]. Aus: Wikicommons unter CC

Als sich die Wehrmacht nach der Niederlage von Stalingrad aus dem Kaukasus zurückziehen musste, wurde der Plan fallengelassen. Es standen aber rund 20 Kosakeneinheiten in Bataillonsstärke über die ganze Ostfront verteilt im Kampf. Die im Sommer 1943 in Polen aufgestellte 1. Kosaken-Kavallerie-Division zählte etwa 10.000 Mann. Sie war die erste große Kosakeneinheit im Osten. Den Stamm der Division bildeten die Kosaken des Auffanglagers Cherson in der Ukraine, Kosaken vom Don, Kuban, Terek, aus Sibirien, Transbaikalien und Ussurien. Das Offiziers- und Unteroffizierkorps wurde aus ehemaligen Kriegsgefangenen der Roten Armee und aus Emigranten-Kosaken westlicher Länder gebildet, die sich zur Kollaboration bereit erklärt hatten. Jedes Regiment hatte 2.000 Mann, dazu 160 Deutsche als Rahmenpersonal. Die Kosakeneinheiten wurde dem deutschen Generalmajor Helmuth von Pannwitz unterstellt.

Damit die Kosaken nicht gegen Landsleute kämpfen mussten, wurden die Reiterkrieger im September 1943 nach Jugoslawien in den Raum Belgrad beordert. Nach der Kapitulation Jugoslawiens im April 1941 und dem Zerfall des Vielvölkerstaates kam es zur Bildung starker Partisaneneinheiten. Die Kosakenregimenter erhielten den Auftrag, neben dem Schutz der Nachschublinien nach Griechenland bzw. der Volksdeutschen die Partisanen aus ihren Stützpunkten zu vertreiben. Die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee war bis Ende 1944 auf über 400.000 Mann angewachsen. Die Beweglichkeit der berittenen Kosakenverbände und ihr Kampfesmut brachten die Partisanen allerdings mehrfach in schwere Bedrängnis. Während der Operation „Rösselsprung“ konnten zwei Kosakenregimenter das Hauptquartier von Tito in den Bergen von Drvar einnehmen, wobei der Partisanenführer nur durch einen Glücksfall entkommen konnte.

Dem inzwischen zum Generalleutnant ernannten Helmuth von Pannwitz unterstand schließlich ab Februar 1945 das zum Armeekorps angewachsene XIV. Kosaken-Kavallerie-Korps der Waffen-SS, bestehend aus der 1. Kosaken-Kavallerie-Division (Kommandeur Oberst von Baath), der 2. Kosaken-Kavallerie-Division (Kommandeur Oberst Hans-Joachim von Schultz), der Plastunbrigade (nach einem Ort bei Wladiwostok - Kommandeur Oberst Ivan Kononow) sowie der im Aufbau begriffenen 3. Kosakendivision mit einer Kampfstärke von mehr als 25.000 Mann. Die 1. Kosaken-Kavallerie-Division wurde durch eine Vielzahl von Plünderungen, Vergewaltigungen und Erschießungen im jugoslawischen Aufstandsgebiet bekannt.

Die Umsiedlung#

Bedingt durch den Rückzug der Deutschen Wehrmacht im Osten ab 1943 sahen sich auch viele Kosakenfamilien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Im Frühjahr 1944 zogen sie sich in das heutige Weißrussland zurück. Anfang Juli 1944 wichen sie nach Polen aus und einige meldeten sich als Soldaten, um gegen den Warschauer Aufstand zu kämpfen.

In der Folge wurde den rund 16.000 Kosaken, die mit Planwagen und etwa 14.000 Pferden unterwegs waren von der deutschen Reichsregierung neue Siedlungsgebiete im Raum Tolmezzo (Provinz Friaul), als neues „Kosakia“ zugewiesen. Im Sommer 1944 wurden in 50 Eisenbahnzügen etwa 35.000 Kosaken aus dem Osten evakuiert und in dieser Gegend angesiedelt, wo sie bis Kriegsende hauptsächlich im Kampf gegen italienische Partisanen eingesetzt waren. Das Dorf Alesso wurde vollkommen den Kosaken überlassen und es entstand dort eine Art kosakische Exilregierung. Alesso wurde aber auch der geeignete Platz für Handel und Gewerbe. Es erhielt den Ortsnamen Novotscherkask. Die Kosaken versuchten unter General Krasnov diplomatische Beziehungen auch zu den Engländern aufzubauen und eine Art Verfassung für ihr Land zu errichten. Die neue Heimat "Kosakia" blieb jedoch eine Illusion.

Flucht nach Österreich#

Die ohnedies prekäre Situation der Kosaken verschärfte sich im April 1945. Die englischen Truppen rückten näher, kommunistische Partisanen verschärften ihre Angriffe. Der Krieg, durch welchen sie gehofft hatten, den Bolschewismus zu besiegen, war verloren. Jedoch erklärte sich General Domanov nicht bereit, die Waffen niederzulegen oder gar mit den Partisanen zu verhandeln. Er verfügte den Abzug des Kosaken-Stans in Italien, um auf österreichischen Boden zu kapitulieren und um dort mit den Engländern zu verhandeln. Tausende Männer, Frauen und Kinder machten sich Ende April 1945 über den Plöckenpass auf nach Norden. Während dem Abzug der Kosaken aus Italien wurde auf sie geschossen und das Wetter spielte den Menschen übel mit. Starker Regen begleitete sie und in höheren Lagen setzte sogar ein Schneesturm ein. Völlig erschöpft erreichten die ersten Kosaken am 3. Mai 1945 Österreich und trafen am 9. Mai 1945 auf die 11. britische Panzerdivision.

In Kötschach-Mauthen erhielt man die Anweisung, die Kosaken über den Gailberg ins Drautal weiterziehen zu lassen. Ihr Lagerplatz wurde der Talkessel zwischen Lienz und Oberdrauburg. Die vielen Pferde der Kosaken fraßen die Wiesen leer, was von der örtlichen Bevölkerung verständlicherweise nicht gern gesehen wurde.

Die Lienzer Kosakentragödie#

Die Britische Armee lieferte die Kosaken Ende Mai/Anfang Juni 1945 in Judenburg der Roten Armee aus. Die unmenschliche Aktion begann am 28. Mai: Nachdem die britischen Armeestellen eine freiwillige Waffenabgabe der Kosaken erreicht hatten, wurden mehr als 1.500 Offiziere aus mehreren Lagern zu einer vorgetäuschten Konferenz in Spittal an der Drau gelockt, dort handstreichartig festgenommen, auf Lastwagen geladen und nach Judenburg gefahren. Dort, jenseits der Mur, begann der Machtbereich der Sowjets, die auf die "Verräter" bereits auf der Brücke warteten.

Zur Einnerung an die Rolle der Kosaken beim Entsatz von Wien 1683
Denkmal im Wiener Türkenschanzpark

Danach ging man gegen die führungslos gewordenen Kosaken vor. Wurden sie bis dahin noch zuvorkommend und nicht wie Kriegsgefangene behandelt, so wurden die Lager am 30. Mai erstmals von bewaffneten britischen Soldaten umstellt. Dramatische Szenen spielen sich beispielsweise im Lienzer Ortsteil Peggetz ab, wo 4.000 Kosaken kampierten. Ein Großteil der Kosaken übte passiven Widerstand. Doch die Briten gingen mit Knüppeln, Gewehrkolben und Bajonetten gegen die Menschen vor. Viele wurden in der Panik tot getrampelt. Hunderte Kosaken, auch Frauen und Kinder, stürmten die Drau-Brücke, auf der britische Posten in Stellung gegangen waren. Ein Teil der Verzweifelten stürzte sich von der Brücke in den Fluss. Andere Kosaken-Gruppen verübten kollektiven Selbstmord. Noch Tage später wurden im Lienzer Umland Hunderte Leichen gefunden. Viele Mütter versteckten ihre Babys im Wald, um ihnen das Leben in Stalins Gulags zu ersparen. Britische Suchtrupps durchkämmten in den folgenden Tagen die Gegend. Von denjenigen, die vor Festnahme und Auslieferung geflüchtet waren, griffen die Briten bis zum 30. Juni fast 1400 Personen auf und lieferten sie aus. Immerhin wurde nach dem 4. Juni bei den Gefassten die Staatsbürgerschaft überprüft, Exilanten genossen von da an Gnade.

Die Deportierungen wurden täglich bis zum 7. Juni durchgeführt. Während dieser 10 Tage wurden 35.000 Kosaken abtransportiert. Laut Emil Winkler, Bürgermeister von 1938 bis 1945 in Lienz, kamen etwa 3000 Männer, Frauen und Kinder ums Leben.

Erst Ende Juni stoppten die Briten die Auslieferungen, erster Vorbote des wachsenden Misstrauens zwischen den Siegerstaaten. Diese Ereignisse gingen als "Tragödie an der Drau" in die Geschichte ein. In Lienz erinnern heute der Kosakenfriedhof in der Peggetz und ein Gedenkstein für General Helmuth von Pannwitz und das XV. Kosaken-Kavallerie-Korps in Tristach an das damalige tragische Geschehen.

Die Konferenz von Jalta und die Folgen#

Die Briten begründeten ihre Vorgangsweise mit der Vereinbarungen der Konferenz von Jalta 1944, die eine Repatriierung von Sowjetbürgern vorsahen, insbesondere von solchen, die deutsche Uniform getragen oder mit dem Nationalsozialismus kollaboriert hatten. Unter diesen befanden sich allerdings auch Emigranten des Zarenreiches, die keine sowjetischen Staatsbürger waren, und daher auch nicht auszuliefern gewesen wären. Für die meisten Offiziere der Kosaken bedeutete die Auslieferung die meist umgehend erfolgte Hinrichtung, während die Mannschaften überwiegend in den sibirischen Straflagern verschwanden. Von Pannwitz, Krasnow, Schkuro und neun weitere prominente Kosakenführer wurden nach Moskau gebracht, in einem Hochverratsprozess zum Tode verurteilt und im Jänner 1947 hingerichtet.


Essay#

Der Kosakenzug durch Oberdrauburg#

von

Heidi Brunnbauer


Ein bedeutendes Erlebnis des auch für mich als Kind ereignisreichen Jahres 1945 war im Mai der Durchzug des Kosakentrecks durch Oberdrauburg. Es sollen insgesamt 25.000 Menschen gewesen sein, davon etwa die Hälfte Frauen, Kinder und Greise, dazu an die 5.000 Pferde, die über den verschneiten Plöckenpass, dann über den Gailberg ins Drautal bis zum endgültigen Halt vor Lienz zogen, dem britischen Kriegsgefangenenlager Peggetz. Eine nicht enden wollende Kolonne von Reitern, Panjewagen, Pferden und sogar Kamelen, bewaffneten Soldaten und Zivilisten zu Fuß bewegte sich auf der Straße vom Gailberg herunter auf das Ortszentrum zu. Wir gingen ihnen entgegen auf unserem täglichen Nachmittagsspaziergang (von uns Kindern als „Familienwurm“ bezeichnet und grundsätzlich als langweilig abgelehnt). Diesmal wurde er zu einem beeindruckenden Ereignis mit all dem Exotischen, noch nie Gesehenen.

Die Kosaken sind da #

Das Haus meiner Schulfreundin Lisi an der Gailbergstraße war eines der ersten am Ortseingang. In ihrem Garten ließ sich eine Kosakengruppe mit einem Wagen nieder, an dem Geschirr baumelte. Er schaute aus wie jene der Zigeuner, die manchmal durchgezogen waren, erzählte sie. Die Fremden sahen sich im Haus um und begannen sich einzurichten. Besonders beeindruckt war meine Freundin von einem alten, beinamputierten Mann, der in das Bett der Großmutter gelegt wurde; die anderen lagerten im Garten und in der Scheune. Kosakenfrauen wollten auf dem hölzernen Küchenboden ein Feuer zum Kochen entzünden. Die entsetzte Hausfrau machte ihnen aber verständlich, dass sie den Herd benützen könnten. Für die vielen zu versorgenden Menschen errichteten die Kosaken dann in der Scheune eine Feuerstelle. Glücklicherweise gab es keinen Brand. Die Gruppe blieb nicht lange, sondern zog weiter in die Drauauen. Dort lagerten sie in Zelten. Abseits von ihnen wurden mit Baggern riesige Gruben ausgehoben, um die vielen, an Räude erkrankten und deshalb von einem englischen Soldaten erschossenen Kosaken-Pferde einzugraben. Man sprach von 200 Tieren, erzählte meine ältere Freundin Lisbeth. Bei uns im Ortszentrum half man mit riesigen Töpfen – wie sie nur Gasthäuser verwenden – voll gekochter Erdäpfel zur freien Entnahme. Einige hochgewachsene Männer in stolzer Haltung betraten das Haus, darunter einer in einem langen, schwarzen Gewand mit einem großen Metallkreuz an einer Kette auf der Brust; auf seinem Kopf mit langem Vollbart saß ein schwarzer Hut wie ein umgestülpter Kochtopf – sehr beeindruckend für mich! Ein Pope, wie mein Onkel von seiner Militärzeit auf dem Balkan wusste. Was die Männer wollten oder auf Französisch mit dem Onkel besprachen, weiß ich nicht. Es mag sich um Nahrungsmittel gehandelt haben. An Einquartierungen kann ich mich nicht erinnern. Bei meiner Freundin Lisbeth im Nachbarhaus hingegen bezogen fünf Kosaken-Offiziere im Zimmer ihrer Großmutter Quartier. Obwohl sich die Familie damals nur von dem ernähren konnte, was der Garten hergab, aßen die Offiziere mit, stets ihre Gewehre griffbereit zwischen den Beinen. Diese Sitte war besonders für die Kinder faszinierend, die sich fragten, ob sie wohl auch zum Schlafen die Gewehre nicht weglegten. Eines Tages verabschiedeten sie sich, weil sie bis zum Abend in die Bezirkshauptstadt Spittal mussten. Sie kamen nicht mehr wieder. (Wie später zu erfahren war, wurden sie von den Briten dorthin zu einer angeblichen Konferenz über ihre weitere Zukunft gelockt, entwaffnet und nach Judenburg zwecks Übergabe an die Rote Armee bzw. Liquidierung deportiert. Es handelte sich um insgesamt 1.500 Offiziere.)

Talboden vor dem „Tiroler Tor“,Lagergebiet der Kosaken westlich von Oberdrauburg.
Talboden vor dem „Tiroler Tor“, Lagergebiet der Kosaken westlich von Oberdrauburg
Aquarell im Besitz der Autorin, gemalt von Hans Pichler-Stainern

Die Kosaken zogen auf der Straße weiter Richtung Tiroler Tor (Grenze zwischen Kärnten und Osttirol). Ein Teil von ihnen entschloss sich, dort auf den Feldern zwischen Straße und Drau ihre Zelte aufzuschlagen; ein größerer Teil bewegte sich bis gegen Lienz. Wie ich später hörte, war somit die Ernte für dieses Jahr verloren: alles abgegrast und zertrampelt. Dafür ließen die Kosaken ihre Habe zurück, als sie durch die britischen Besatzungssoldaten gezwungen wurden, zum Abtransport in Eisenbahnwaggons einzusteigen, die auf freier Strecke hielten. Die heimische Bevölkerung holte sich dann von dort edle Reitpferde und kleinwüchsige Pferde (zum Unterschied von unseren Haflinger-Gäulen), Wagen, Zelte, Geschirr, Kleidung – auch von Kindern – und alles, was sie nach der jahrelangen Kriegszeit brauchen konnte. Handgranaten fanden sich noch Jahre später versteckt auf den Feldern, unter Hecken und an Bachböschungen. Man musste sehr vorsichtig sein, denn einigen Personen wurden diese Waffen zum Verhängnis: Durch Explosionen kam es zu schweren Unfällen mit abgetrennten Gliedmaßen, hörte ich die Einheimischen berichten. Auch meine Schulfreundin Lisi erzählte von ihrer jüngeren Schwester, die ohne Wissen der Mutter mit einer Nachbarin in den Drauauen nach Brauchbarem Ausschau hielt. Da explodierte irgendwo in der Nähe eine Handgranate; das Kind wurde von einem Splitter getroffen; dieser wurde jetzt nach 67 Jahren bei einer Untersuchung im Nacken noch festgestellt. Vom Bahnwärter erzählte man, dass er längs des Bahndamms Bündel von Banknoten gefunden hatte, die die abtransportierten, verzweifelten Kosaken aus dem Zug geworfen hatten, ahnend, dass sie das Geld nicht mehr brauchen würden. Mütter sollen ihre Babys aus dem Zug in die Drau geschleudert haben. Es waren schauderhafte Dinge, die ich von den Erwachsenen aufschnappte. Im Herbst saßen dann bei uns in der zweiten Volksschulklasse zwei zarte, kurzgeschorene, dunkelhaarige Kosakenbuben, ich glaube Zwillinge. Wir betrachteten sie neugierig, sprachen aber nicht mit ihnen; vielleicht haben wir es gar nicht versucht. Jedenfalls beeindruckte mich, dass sie phantastische Kopfrechner waren, mit unglaublich raschen und richtigen Resultaten. Eines Tages waren sie nicht mehr da. Ich habe nie mehr von ihnen gehört. Gelesen habe ich viel später, dass es einigen Kosaken gelang, in die Wälder und Berge zu fliehen und sich monatelang dort zu verstecken, wo sie von der heimischen Bevölkerung versorgt wurden. So dürfte es auch mit unseren Kurzzeit-Mitschülern gewesen sein.

Mit der Deutschen Wehrmacht #

Als im Zweiten Weltkrieg die Deutsche Wehrmacht in Südrussland den Don erreichte und in die von den Kosaken besiedelten Gebiete kam, meldeten sich diese freiwillig zum Dienst bei den deutschen Streitkräften. Ein großer Teil fühlte sich nämlich im kommunistischen Regime, insbesondere unter Stalin, unterdrückt und seiner Freiheit beraubt. Die Kosaken, die sich zum Kampf gegen die Rote Armee gemeldet hatten, wurden von den Deutschen hauptsächlich zur Partisanenbekämpfung in Jugoslawien und später in Italien eingesetzt. Für die Dienste der Kosaken galt stets die Bedingung, ihre Familien mitzunehmen, wohin sie auch immer gingen. So wurden sie per Eisenbahn gemeinsam zunächst nach Polen, dann nach Jugoslawien und schließlich nach Oberitalien (Friaul, Gebiet von Tolmezzo) transportiert. Dort hatte ihnen die deutsche Reichsregierung ein Siedlungsgebiet versprochen, aus dem die ansässige Bevölkerung deportiert werden sollte. Diese schloss sich aber zur Verteidigung ihrer Heimat den kommunistisch geführten italienischen Partisanen an und lieferte sich mit den Kosaken noch heftige und grausame Kämpfe bis gegen Ende des für die Deutschen – ihrer verbündeten Schutzmacht – verlorenen Krieges. Nun hätten sich die Kosaken den Partisanen ergeben sollen, was Auslieferung an die Sowjets mit Tod oder Zwangsarbeit in Sibirien bedeutete.

Flucht und Verrat#

Daher entschloss sich die Kosakengemeinschaft zur Flucht über die Karnischen Alpen nach Österreich in die britische Besatzungszone, um dort gegenüber den Briten zu kapitulieren, was sie auch taten. Denn sie erwarteten von ihnen eine faire Behandlung als Kriegsgefangene (die Kosakensoldaten waren ein offizieller Wehrmachtsverband, trugen auch deutsche Uniformen) und Nicht-Auslieferung an die Sowjets, in deren Augen sie Überläufer und Hochverräter waren. Bis Juni 1945 lagerten die Kosaken an der Drau. Die Briten versicherten ihnen wiederholt, dass keine Auslieferung vorgesehen wäre. Es kam aber anders. Überfallsartig und gewaltsam räumten die britischen Besatzungssoldaten die Lager, verfrachteten die verzweifelten Menschen in Viehwaggons, um sie in die Steiermark nach Judenburg zu transportieren, wo sie an der Demarkationsgrenze zum sowjetischen Besatzungsgebiet der Roten Armee übergeben wurden. Dann erfolgte der Weitertransport über Graz, Ungarn, Rumänien nach Moskau; Endstation waren Zwangsarbeitslager in den Kohlenrevieren Sibiriens. Bis dahin war bereits ein Teil der Kosaken durch Selbstmord, Hinrichtung, Krankheit und Erschöpfung umgekommen. In wissenschaftlichen Arbeiten, Erzählungen Betroffener, Romanen und Radiosendungen (insbesondere „Österreich II“ von Hugo Portisch / Sepp Riff, Wien 1985) habe ich von dem „Drama an der Drau“ Kenntnis der historischen Fakten erlangt, die meinen Kindheitseindrücken den erforderlichen Hintergrund geben. Wann immer ich Flüchtlingstrecks im Fernsehen etwa sehe, die es weltweit leider auch heute in erschreckend hohem Ausmaß gibt, kommen in mir die Bilder und fürchterlichen Ereignisse dieser unmittelbaren Nachkriegszeit hoch, verbunden mit einem tiefen Mitgefühl mit Menschen, wie ich sie als Kind erlebt habe.

Zur Person:#

Dr. rer. comm. Heidi Brunnbauer, geb. Pichler-Stainern, verbrachte ihre Kindheit in Villach und Oberdrauburg. Nach dem Besuch des Realgymnasiums und Konservatoriums in Klagenfurt studierte sie an der damaligen Hochschule für Welthandel in Wien, absolvierte ein postgraduales Studium an der Universität Rom und war bis zu ihrer Pensionierung als Ökonomin in Wien tätig. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder und zwei Enkelinnen.

Lokalgeschichtliche Veröffentlichungen:
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ I (Gösing, 1. Aufl. 2003; 4. Aufl. 2009)
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ II (Gösing, 2006))
„Im Cottage von Währing/Döbling ... Interessante Häuser – interessante Menschen“ III (Gösing, 2009)
Abgearbeitet - Biografische Miniaturen zwischen Kärnten und Wien, Edition Wienviertel (Gösing, 2012)

Verschiedene Beiträge in den Vierteljahresschriften des Museumsvereins Währing.

Redaktion: P. Diem


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Redaktion: P. Diem