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Geschenke, die es nicht mehr lange gibt#

Diese Weihnachten könnte man sich einmal all dessen besinnen, was über kurz oder lang verschwinden wird.#


Von der Wiener Zeitung (17. Dezember 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt


Schneekristall
Manches kann man nicht bewahren - wie die Schönheit eines Schneekristalls. Bei anderen Dingen kann man es zumindest versuchen.
Foto: https://pixabay.com

Was hat heute noch Bestand? Das abgelaufene Jahr hat gezeigt, dass man sich nichts wirklich sicher sein kann. Nicht der warmen Stube, nicht des erschwinglichen Wocheneinkaufs, nicht des Friedens in Europa. Sogar die Queen ist nicht mehr. Kann man angekündigte Abschiede hinauszögern? Nun, man kann es probieren. Manchmal mit Nebeneffekt: Vielleicht bringt es einen klimawandelskeptischen Spritzerfreund zum Nachdenken, wenn man ihm eine Kiste Grünen Veltliner zu Weihnachten schenkt: Diese Weinsorte könnte nämlich der Erderwärmung und ihren Folgen zum Opfer fallen. Das Feuilleton der "Wiener Zeitung" hat heuer Geschenkideen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammengetragen, die allesamt ein Ablaufdatum haben.

Ein Sechs-Monats-Abo der "Wiener Zeitung" kostet übrigens wohlfeile 80 Euro.

In diesem Jahr mussten wir uns von einem guten, alten Freund verabschieden, der so wie kaum etwas für das Lebensgefühl der Nullerjahre stand: Apples iPod wurde im Mai 2022 aus dem Programm genommen. Das kleine, stylische Gerät, das die Musikindustrie revolutioniert hat, indem es ihre Digitalisierung erzwang und eine tausende CDs umfassende Sammlung mobil machte, ist offiziell nicht mehr erhältlich. Doch es gibt noch Chancen. Immer wieder finden sich bei eBay und Co. originalverpackte iPods, die man (noch) für einen fairen Preis erwerben kann. Warum man das tun sollte, wo doch jedes Smartphone diese Features alle inkludiert hat? Gegenfrage: Warum nicht? Manchmal reicht auch die Konservierung eines Lebensgefühls, um Freude zu machen. Und darum geht’s doch, oder? Bernhard Baumgartner

Sandstrand, Lagunen und Palmen - der Malediven-Dreiklang, der Sehnsucht verursacht. Ach, Sonne! Wer Wintergrau gegen Sonne tauschen möchte, muss sich sputen. Durch den Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel sind die Inseln im Pazifik vom Untergang bedroht. Auf Tuvalu beobachten die Inselbewohner seit Jahren, wie das Wasser steigt und Teile des Landes wegspült. Für Kiribati existieren bereits horrible Berechnungen, wonach das Inselreich in 30 bis 40 Jahren von der Erdoberfläche verschwunden sein wird. Ein Gegenwarts-Atlantis. Folgerichtig wurde auf den Malediven ein Ozeanograf zum Präsidenten gewählt. In einer Rede hielt Mohamed Nasheed fest: "Zuerst gehen die Malediven unter, dann der Rest der Welt." Dann sind Schnee-Spaziergänge statt Strandläufe angesagt. Petra Paterno

Die gab’s nur einmal, die kommt nicht wieder. Die will ein letztes Mal gefeiert sein. Und das mit einem Geschenk von höchstem ideellen und zugleich praktischem Wert. Was das ist? Der Queen Elizabeth II. Commemorative Mug, selbstverständlich! Weiße Keramik mit einem dezenten blauen Aufdruck, der an Her Majesty erinnert und an ihre Liebe zu Hunden: Ein Blickfang in jedem Regal ist das. Und aus keiner anderen Tasse schmeckt der Tee besser! Bei praktischer Verwendung unbedingt die Reihenfolge beachten: Erst Tee, dann Milch. Die Queen war "tea in first"-Anhängerin! Royaler kann Weihnachten nicht sein! Merry Christmas! Edwin Baumgartner

Ein, dank Corona, wieder sehr beliebtes Geschenk sind Klemmbausteine. Sammler müssen freilich immer am Ball bleiben. So stellt Lego in diesem Jahr wieder einige Produkte ein, darunter befindet sich etwa das "Central Perk"-Cafe aus der TV-Serie "Friends" oder das "Seinfeld"-Bauset. Das optimale Geschenk für Serienfans, die einmal analog unterhalten werden wollen. Gregor Kucera

Und plötzlich waren sie aus dem Alltag verschwunden - die bunten Röhrchen, die die Trinkbecher und -gläser zierten, die man an der gerillten Stelle knicken konnte, um nicht den Kopf umständlich über das Gefäß halten zu müssen. Biss man auf ihnen herum oder wickelte man sie um den Finger, waren sie in ihrer Funktion eingeschränkt, aber meistens gönnte man sich den Spaß. Die Rede ist von Plastikstrohhalmen. Seit Juli 2021 sind sie EU-weit verboten. Was hat man nun davon? Papiertrinkhalme, die sich binnen kürzester Zeit in jedem Getränk aufweichen. Ein Daranherumnuckeln ist ebenso Geschichte. Metallstrohhalme lassen die Lippen zu Eis erstarren beziehungsweise vor Hitze glühen. In den Glastrinkröhren sieht man zumindest die Rückstände, die es mit dem Bürstchen zu entfernen gilt. Zu kaufen gibt es sie noch, die verpönte Rarität Plastikstrohhalm. Eine Schachtel davon unter dem Christbaum könnte so manches Herz höher schlagen lassen. Alexandra Grass

Windschutzscheibe brandneu, Abgaswerte auf Stand gebracht. Zahnriemen ausgetauscht, Motor serviciert, neue Reifen gekauft und schon schnurrt der Volvo Estate 740 Baujahr 87 wieder wie ein Großkatz, beschleunigt wie neu und fährt sich wie Urlaub. Und ehrlich: Wo bekommen Sie für unter 3.000 Euro einen Neuwagen, der so viel kann? Eben. Wir haben auch keinen gefunden. Und für die Runderneuerung des schwedischen Originals optiert, das weder piepst noch selbst fährt. Freilich ist es extravagant, sich selbst einen Oldtimer zu schenken. Aber noch gibt es die Autos, die keine elektronischen Rätsel aufgeben, und Mechaniker, die sie servicieren! Eva Stanzl

Was waren das für Zeiten, in denen sich der Filmfan einem Bibliothekar gleich ganze Wohnzimmerwände mit seiner Blu-ray-Sammlung vollstellen konnte? Diese Zeiten sind jedenfalls bald vorbei. Denn die großen Streaming-Dienste wie Netflix, Amazon oder Disney+ haben die Verkaufszahlen von DVDs und Blu-rays in nur wenigen Jahren geradezu pulverisiert und das Medium quasi obsolet gemacht. Die Pandemie wirkte da wie ein zusätzlicher Brandbeschleuniger: Allein 2020 brachen die ohnehin schon schlechten Verkäufe um 21 Prozent ein. Wer sich Filmhits wie "Top Gun: Maverick" also doch noch ins Regal stellen will, sollte schnell handeln. Und auch gleich noch einen Blu-ray-Player als Reserve dazukaufen. Man erinnert sich ja noch leidlich an die Zeiten, als daheim hunderte VHS-Bänder im Regal verrotteten, weil es keine entsprechenden Player mehr zu kaufen gab. Dann lieber einen Vorrat anlegen. Matthias Greuling

Das Musikhaus Tinter? Einer Bobo-Bäckerei gewichen. Die Drum City? Einem Enthaarungsstudio. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die kleinen bis mittelgroßen Instrumentengeschäfte der Stadt sterben. Zuschauen, bis es das nächste erwischt und dann tränenreich auf Twitter oder Instagram jammern, ist da eher keine Hilfe. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, und das eher heute als morgen. Wer also eine Zukunft abwenden oder zumindest verzögern will, in der König Onlinehandel auch dieses Geschäftsfeld übernimmt, besuche den Instrumentenhändler seines Vertrauens und lasse sich dort einen Weihnachtsgutschein ausstellen. Damit diese charmanten Läden vielleicht doch nicht aus der Zeit fallen. Oder man bei ihrer Schließung immerhin sagen kann: Ich habe dort noch eingekauft. Christoph Irrgeher

Schlecht behütete Mädchen kommen immer in unterschiedlichen Erscheinungsformen, und diesmal als Ballett: "La fille mal gardée" in der Choreografie von Frederick Ashton kann man getrost auch Nichtkennern der Materie empfehlen - und Kindern sowieso, die richtig Spaß haben mit dem komischen Holzschuhtanz der Witwe Simone, die, ganz abseits von Gender-Überlegungen, von einem Mann dargestellt wird. Tanzszenen mit Bändern, folkloristische Ensembleszenen und natürlich ein Liebespaar: Ballett, wie es ballettöser nicht geht. Im März 2023 steht es noch drei Mal am Spielplan der Staatsoper. Wer weiß, wie viele Jahre bis zur nächsten Wiederaufnahme vergehen werden. Wenn es überhaupt dazu kommt. Verena Franke

Er erstreckt sich über sechs Millionen Quadratkilometer, beherbergt die größte Biodiversität aller tropischen Regenwälder und gilt als grüne Lunge unseres Planeten - doch der Amazonas-Regenwald ist bedroht. Abholzung und Brandrodung für landwirtschaftliche Flächen lassen die Bewaldung jährlich massiv schrumpfen, illegaler Goldabbau verseucht den Boden und Wilderei dezimiert den Wildtierbestand in erschreckendem Ausmaß. Der Fotograf Sebastião Salgado bereiste sechs Jahre lang das brasilianische Amazonasgebiet und fotografierte die unvergleichliche Schönheit dieser einzigartigen Region: den Regenwald, die Flüsse, die Berge und die Menschen, die dort leben - ein unersetzlicher, schwindender Schatz. In seinem Bildband "Amazônia" schreibt er: "Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass dieses Buch in 50 Jahren nicht als Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt gelten wird. Amazônia muss fortbestehen." Dieses Buch ist nicht vom baldigen Verschwinden bedroht, aber die Region, die darin abgebildet ist, vielleicht schon. Christina Mondolfo

Spielt man heute einem jungen Menschen, sagen wir 15-minus Jahre, guten, alten Austropop von Danzer oder Ambros vor, dann herrscht Unverständnis. Und zwar im Wortsinn: Denn für Teenager der heutigen Zeit ist das Wienerische mitunter eine regelrechte Fremdsprache. Sie sagen nicht mehr "Buben", sie sagen "Jungs" und - oh Sakrileg - sie finden Speisen "lecker". Die Dominanz des Bundesdeutschen in den Medien, die Junge konsumieren, führt wohl zu dieser Verschiebung. In ganz Österreich verlieren Dialekte drastisch an Bedeutung und Präsenz. Das ist ein herber Schlag für die Identität. Mit einem kleinen Büchlein kann man zumindest in einem sehr wichtigen Bereich für eine Wahrung von sprachlichen Traditionen sorgen. Das Mini-Wörterbuch "Der kleine Wappler" hilft Jung wie Alt, wienerische Schimpfwörter zu erhalten. Damit es auch weiterhin nicht "Knalltüte" heißt, sondern zünftig "Schneebrunzer". Christina Böck

Wiener Zeitung, 17. Dezember 2022