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Stinkbomben in der Grazer Oper #

Stink- und Tränengasbomben wurden in der Oper geworfen, es gab Schlägereien und 60 Verhaftungen: Die Grazer Erstaufführung der „Dreigroschenoper“ am 30. April 1929 wurde zum ganz großen Skandal.#


Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung


Die Dreigroschenoper
„Die Dreigroschenoper“ in einer Inszenierung in der Wiener Josefstadt im Jahr 2004 mit Herbert Föttinger als Mackie Messer.
Foto: © APA/PFARRHOFER

Schon die Werbung für „Die Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill hatte großes Aufsehen erregt: Vom Balkon der Oper (die damals noch „Stadttheater“ hieß) hing ein riesiges Plakat, das in „greller Aufmachung“ einen Gehenkten zeigte.

Plakat. Die Dreigroschenoper
Plakat für eine holländische Aufführung.
Foto: © KK

Prompt schrieb das „Grazer Volksblatt“ in seiner „6-Uhr-Ausgabe“ vom2. Mai 1929, dieses Plakat hätte „schon Mißfallen und Kopfschütteln erregt und einen Vorgeschmack von dem gegeben, was zu erwarten war“. Ein ausgewachsener Skandal nämlich. Und das im Grazer Theaterleben, das bis dahin für sein fades Programm berüchtigt war. Aber die Intendanz hatte wohl demonstrieren wollen, dass sie für das aktuelle Zeittheater offen ist, schreibt Harald Miesbacher in „Stinkbomben und Ohnmachten“ (Blätter für Heimatkunde, 2005).

Die Bürger applaudierten#

Denn diese „Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill war unbestritten der größte Theatererfolg der Weimarer Republik und war im März 1929 auch in Wien erfolgreich aufgeführt worden. Bei den Medien kam auch die Grazer Inszenierung durch Felix Knüpfer sehr gut an. Sogar das bürgerliche Publikum applaudierte. Was fast grotesk war, kritisierte Brecht doch in seinem Stück gerade die Verbindung von Bürgerlichkeit und Verbrechertum. Aber die konservative Bourgeoisie genoss sichtlich das Spektakel auf der Bühne und die schmissige Musik von Kurt Weill. Ja, Mackie Messers Song „Und der Haifisch, der hat Zähne“ wurde weltweit sogar zum populären Schlager.

Gedicht von Brecht
Gedicht von Brecht, 1916.
Foto: © KK

Wer randalierte dann aber bei der Premiere am 30. April wirklich? Es waren die deutschnational gesinnten Studenten im Publikum, die von Balkon, Galerie und Stehparterre ihren Protest gegen das „bolschewistische Tendenzstück“ hinausschrien. Am Ende der Vorstellung kam es zum Tumult. Persönliche Auseinandersetzungen folgten, Verhaftungen wurden vorgenommen. Die weiteren Vorstellungen waren für den 4. Mai (Samstag), 5. Mai (Sonntag) und 7. Mai (Dienstag) angesetzt. „Danach wurde das Stück von der Intendanz, die sich zu diesem Schritt schlichtweg gezwungen sah, kurzerhand vom Spielplan genommen“, so Miesbacher. Wohl schweren Herzens, hatte man sich doch vom erwarteten Publikumserfolg endlich wieder volle Kassen erhofft.

Nun griff die Polizei ein#

Aber auch die Samstagvorstellung wurde massiv gestört, diesmal musste sogar die Polizei eingreifen. Am Sonntag kamen dann nur wenige Zuschauer in die Oper, meist Sozialdemokraten, die ihre Abzeichen demonstrativ zur Schau trugen – und viele Polizisten. Die letzte Aufführung am Dienstag brachte den absoluten Höhepunkt der Ausschreitungen.

Bertolt Brecht
Bertolt Brecht (1898 in Augsburg – 1958 in Ostberlin), gesellschaftskritischer Dramatiker mit kommunistischer Positionierung.
Foto: © KK

Kaum hob sich der Theatervorhang, wurden Stink- und Tränengasbomben ins Parkett geworfen. Ein Teil des Publikums geriet in Panik und wollte ins Freie flüchten. Von „akuten Vergiftungsanfällen und Nervenschoks“ schrieben am Tag darauf „Tagespost“ und „Tagblatt“. Der Schauspieler Lohde verkündete eine „Lüftungspause“. Inzwischen hatten einige Theaterbesucher etliche gar’s Opera“ von John Gay (Text) und Johann Christoph Pepusch (Musik) von 1728, die ein Gegenstück sein sollte zu der von Georg F. Händel kurz zuvor in England eingeführten italienischen Oper.

„Bombenwerfer“ ergriffen und „droschen erbittert auf sie ein“. Dann ging die Vorstellung weiter – aus Sicherheitsgründen aber bei voller Raumbeleuchtung.

Mehrere Studenten sorgten zwar weiter für Lärm und Zwischenrufe, wurden aber von Theaterbesuchern kurzerhand aus dem Saal geworfen. 60 Personen sollen verhaftet worden sein. Nach dem Schlussvorhang kam es minutenlang zu einem „ohrenbetäubenden Krawall“. Dann sammelten sich die Demonstranten auf dem Opernring und zogen zur Technischen Hochschule, wo sie demonstrativ das „Deutschlandlied“ sangen. Die Polizei griff mit Gummiknüppeln ein, eine heftige Schlägerei entstand. Jetzt hatte auch das als verschlafen bekannte Graz seinen Theaterskandal, der großes Aufsehen erregte.

Zu einem politischen Nachspiel kam es im Gemeinderat am 16. Mai 1929. Vinzenz Muchitsch, der erste Sozialdemokrat als Bürgermeister, sprach von einem „unverantwortlichen Gewaltakt gegen die Künstler und gegen das Publikum“.

Keine Interventionen#

Als der christlich-soziale Gemeinderat Dr. Reckenzaun bürgermeisterliche Interventionen bei der Theaterleitung verlangte, sobald sittliche Gefahr in Verzug wäre, lehnte dies Muchitsch ab und sicherte der Intendanz auch weiterhin die absolute Entscheidungsfreiheit in künstlerischen Belangen zu. Erst 1938 war es mit der Freiheit der Kunst vorbei.



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© "Damals in Graz", Dr. Robert Engele