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Lilli Lička, Christian Maryska: Von Gärten und Menschen#

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Lilli Lička, Christian Maryska: Von Gärten und Menschen. Gestaltete Natur, Kunst und Landschaftsarchitektur. Residenz Verlag Salzburg - Wien. 256 S., ill., € 29,90

Vor genau 300 Jahren, 1723, begann der Bau des Prunksaals der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB). Kaiser Karl VI. beauftragte den barocken Stararchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach mit dem Werk. Der Prunksaal zählt zu den schönsten Bibliotheken der Welt und ist der würdige Rahmen besonderer Ausstellungen. Bis November 2023 ist die Schau "Von Gärten und Menschen" über gestaltete Natur, Kunst und Landschaftsarchitektur zu sehen. Dazu erschien ein Buch, das ebenso edel wie der Ausstellungsort ist. Herausgegeben haben es die Landschaftsarchitektin Lilli Lička, Leiterin des Instituts und Archivs (LArchiv) für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur Wien, und der Historiker Christian Maryska, der im Bildarchiv und in der Grafiksammlung der ÖNB tätig ist. Zwanzig Beiträge von renommierten Fachleuten beleuchten die vielfältigen Aspekte der Garten- und Landschaftsarchitektur.

Em. Univ. Prof. Eva Berger schreibt über den herausragenden Bestand der ÖNB zur Geschichte der Gartenkunst vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Dazu zählen mehrere Werke aus dem Besitz Kaiser Maximilian I. (1459-1519). In seiner Autobiographie Weißkunig zeigt ein Holzschnitt die königliche Gesellschaft in einem Renaissancegarten mit Springbrunnen. Wären die für Maximilian II. (1527-1576) etwa 1568 begonnenen Gärten und das "Neugebäude" fertig gestellt worden, hätte das Kaiserhaus die größte Gartenanlage jener Zeit nördlich der Alpen besessen, schreibt die Historikerin. Der frühe Tod des umfassend humanistisch gebildeten Herrschers brachte das Projekt zum Erliegen. Unter Maria Theresia wurde das Neugebäude sogar für militärische Zwecke genützt und Bauteile in Schönbrunn verwendet. Dort ließ die Kaiserin den Garten ihrer Sommerresidenz mit Beibehaltung der Symmetrie und Axialität durchführen. In den Vorstädten entstanden Adelspaläste, wie das Palais Liechtenstein in der Rossau (Wien 9) mit seinem hochbarocken Park. Wenig später zeichnete sich jedoch ein grundlegender Wandel in der Gestaltung ab. Die Symmetrie wich der inszenierten "natürlichen Landschaft" des Englischen Landschaftsparks. Einen der ersten Europas ließ sich der Feldherr Franz Moritz Graf von Lacy (1725-1801) in Neuwaldegg (Wien 17) anlegen. In den 1780er Jahren erfasste die neue Mode den Habsburger Jagdpark Laxenburg in Niederösterreich. Der erste größere kommunaler Park in Wien war in den 1860er Jahren der Stadtpark. Die Pläne und Ansichten dieser Anlagen und viele andere herausragende Beispiele zur Dokumentation der Gartenkunst in der ÖNB, sind im Buch qualitätvoll reproduziert. Wie der Ausstellungs- und Buchtitel "Von Gärten und Menschen" verrät, ging es immer um das Wechselspiel der gestalteten Natur und ihrer Benutzer. Ein Garten ohne Menschen bleibt nicht lange ein Garten, er verwildert und tendiert früher oder später wieder zur "ersten" Natur. Ohne Menschen kein Garten, betonen die KuratorInnen. Dass auch Künstlern dieser Aspekt bewusst war, beschreibt Ursula Storch. Die Vizedirektorin des Wien Museums betrachtet Staffagefiguren in Gartendarstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts unter der Lupe. Salomon Kleiner (1700-1761) schuf eine groß angelegte Serie von Wiener Veduten, die zwischen 1724 und 1737 in Form von Kupferstichen in den Handel kamen. Dabei fallen die vielen Gärtner auf, die Hecken schneiden, Wege rechen oder Pflanzen transportieren. Eine weitere bekannte Vedutenreihe stammt von Carl Schütz, Johann Ziegler und Laurenz Janscha. Als Künstler der Aufklärung wandten sie sich mit ihren 1779 bis 1798 im Verlag Artaria publizierten kolorierten Radierungen an urbane Bildungsbürger. Ihre Staffagefiguren, wie lesende Personen oder prominente Zeitgenossen, manifestieren die neuen Ideale. Vor allem aufgrund der wechselnden Kleidermoden wurden viele Druckplatten verändert. So sind von 57 verschiedenen Ansichten insgesamt 185 Varianten bekannt., schreibt Ursula Storch, und: es verschwanden etwa die Figuren der Lesenden wieder aus den Ansichten, als die Zensur nach dem Tod Josephs II. verschärft wurde und sich eine antirevolutionäre Stimmung breitmachte.

Die gestaltete Natur wurde damit zum Spiegel der Gesellschaft und des Zeitgeistes. Mehrere Beiträge gehen auf den Wandel ein, wie Gartentheorie, Soziales Grün, Garten- und Landschaftsarchitektur in Österreich, Transformation im Grünen oder Gärten und Parks der letzten Jahrzehnte. Sehr informativ ist der Exkurs Europäische Gartenkunst und Landschaftsarchitektur der Neuzeit. Er erklärt kompakt und kompetent Hintergrund, Grundriss, Eigenheiten und zeittypische Elemente zwischen 1500 und 2020. Weitere Beiträge behandeln Spezialthemen wie Zeichnen in der Landschaftsarchitektur, Gartendenkmalpflege, Kunstgärtner, Pflanzen, Literatur, kaiserliche Gärten, das LArchiv, die Wiener Internationalen Gartenschauen WIG 64 und WIG 74 sowie Persönlichkeiten.

Zu diesen zählte die aus Frankfurt stammende Bankiersdynastie Rothschild. Wien verdankte ihr seine einst berühmten Gärten auf der Hohen Warte (Wien 19). Nathaniel Meyer Freiherr von Rothschild (1836-1905) nahm als Kunstsammler, Mäzen und Philanthrop eine bedeutende Stellung in der Wiener Gesellschaft ein. Zwischen 1874 und 1882 ließ er auf der Hohen Warte ein zur Gänze künstliches Paradies entstehen, wie Andreas Nierhaus, Kurator der Architektursammlung des Wien Museums, darlegt. Zuerst musste die "Wüstenei" mit fruchtbarer Erde verbessert werden, Wasser wurde aus der Donau gepumpt, große exotische Bäume so im Areal platziert, dass sie die Schornsteine der umliegenden Fabriken verdeckten. In 70 Glashäusern gediehen kostbare Zier- und Nutzpflanzen, sodass jederzeit frisches eigenes Obst zur Verfügung stand. Im Frühjahr konnte das Publikum die weithin berühmten Rothschildgärten besuchen. Die Eintrittsgelder kamen der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft zu Gute. In der Nachkriegszeit demolierte man die beschädigten Glashäuser und die Villa. Einige Orchideen überlebten in den städtischen Blumengärten Hirschstetten. Reste der historischen Anlage sind im Heiligenstädter Park zu erahnen, aber, so Andreas Nierhaus nach einem Zitat von Alfred Polgar: Dass hier einst die elegantesten Gärten Wiens "hochmütig wie ein prämierter Windhund in der Sonne" lagen, ahnt niemand mehr.

Im letzten Beitrag referiert Lilli Lička als Leiterin über das LArchiv. Es besteht seit 2002 und ist international vernetzt. Das analoge Archiv umfasst 15 Vor-und Nachlässe, digital sind rund 500 Biographien, 1500 Werke und Projekte und 1400 Publikationen erfasst. Bei der dürftigen Gesetzeslage der Gartendenkmalpflege in Österreich, die historische Parkanlagen kaum schützt, ist ein schneller Zugang zu Informationen über Projekte und ihre Entstehungsgeschichte umso wichtiger. … Zugleich ermöglicht es (das LAchiv) das Bewusstsein zu schärfen, dass auch Freiräume und Grünanlagen Kulturgüter und Dokumente ihrer Zeit sind. Dazu zählen auch die heute geschaffenen. Es scheint, dass das sogenannte "Garteln" heute ein beliebtes Hobby darstellt und Gemüse vom eigenen Balkon besonders gut schmeckt. Auch der Öko-Trend ist ein Aspekt von "Gärten und Menschen". Das großartige Buch behandelt das Thema gleichermaßen wissenschaftlich fundiert wie spannend und enthält viele seltene Abbildungen. Es ist die ideale Nachlese zum Besuch der Ausstellung im Prunksaal der ÖNB. Wer dazu keine Möglichkeit hat, sollte jedenfalls das Buch genießen und wird viel Interessantes entdecken.

hmw