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Georg Jäger: Der Wolf als Bauernschreck und Jagdobjekt#

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Georg Jäger: Der Wolf als Bauernschreck und Jagdobjekt. Historische Streifzüge durch Österreich. Verlag Kral Berndorf. 360 S., ill., € 39,90

Meister Isegrim hat ein schlechtes Image - obwohl längst bekannt sein müsste, dass vieles, was man dem Wolf unterstellt, ins Reich der Mythen und Narrative gehört. Die Künstliche Intelligenz "Bing" weiß nur von "seltenen Fällen", in denen Wölfe Menschen angegriffen hätten, wenn sie sich bedroht fühlten. In den letzten 100 Jahren sei dies kaum dokumentiert worden.

Doch der Titel des jüngsten, reich illustrierten Buches von Georg Jäger, Bibliothekar der Universität Innsbruck und Erfolgsautor des Kral-Verlags, lässt nichts Gutes ahnen. Auf 360 Seiten hat der Autor akribisch Zeugnisse über den "Bauernschreck" gesammelt und in zehn Kapiteln systematisch zusammengestellt. Jedes schließt, nach zeitgenössischen Zitaten, mit zusammenfassenden Bemerkungen. Im ersten Abschnitt über "Verbreitung und Vertilgung" erklärt Georg Jäger: "Der Wolf, scherzhaft auch Isegrim bezeichnet, lebt als großer Beutegreifer in Rudeln, die bis zu zwölf Tiere umfassen können. Bei ihren ausgedehnten Beutezügen legen Wölfe in einer Nacht oft mehr als 100 Kilometer zurück. Die Wolfsangriffe auf Schafe führen dazu, dass mehr Wolltiere gerissen werden, als für die Ernährung notwendig sind. Gerade dadurch ist der Wolf zu seinem schlechten Ruf gekommen, wenn vom 'blutgierigen' Raubtier in Vergangenheit und Gegenwart die Rede ist. … Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die sogenannten Standwölfe in Alt-Österreich … schon größtenteils ausgerottet …" Besonders in der Kleinen Eiszeit des 16. bis 19. Jahrhunderts, in Kriegs- und Krisenzeiten verbreitete Canis lupus panische Angst unter der Bevölkerung.

"Sprachliche Spuren und literarische Zeugnisse" finden sich in der österreichischen Namenlandschaft, ebenso wie in der Literatur, Redewendungen und Sprichwörtern. Georg Jäger hat sechs weibliche und dreimal so viele männliche Vornamen mit der Silbe Wolf aufgelistet. Darunter sind positive wie "Wolfried", wobei die zweite Silbe auf "Friede" bzw. "Schutz vor Waffengewalt" verweist. Der Frauenname "Wolftrud" sollte seiner Trägerin Kraft und Stärke verleihen. Nicht weniger als 60 Orte in Österreich haben das Raubtier im Namen. In der Tiroler Gemeinde Steinach am Brenner heißt ein Ortsteil "Wolf". Wenig schmeichelhaft sind hingegen literarischen Quellen. (Liegt es an der subjektiven Auswahl ?) Jedes Kind kannte früher die Märchen vom Rotkäppchen oder vom Wolf und den sieben Geißlein. Mit dichterischer Ader schilderte Peter Rosegger, wie sein Urgroßvater auf dem Heimweg von der Brautwerbung von einem Rudel Wölfe überrascht wurde. Er wusste sich nicht anders zu helfen, als auf eine hohe Tanne zu klettern. Jedoch zog ein Unwetter auf und der Ahne musste stundenlang in seinem ungemütlichen Versteck ausharren, weil sich die Raubtiere nicht entfernten.

Glaubt man den historischen Schilderungen, konnten die "Holzhunde" nicht nur im "Land im Gebirge" gefährlich werden. Wolfsgeschichten sind aus Tirol und Südtirol überliefert, auch aus Vorarlberg und Salzburg, Kärnten und der Steiermark, Ober- und Niederösterreich, Wien und dem Burgenland. Bei jüngeren Schilderungen sollte man bedenken, dass sie aus Zeitungen stammen, die schon damals Sensationen liebten. So ist es wohl auch bei der Story aus dem "Bothen von Tirol" über Wolf und Bauer in der Kirche von Bad Ilstern, einer Geschichte, die sich 100 Jahre davor zugetragen haben soll: Ein Bauer aus dem Pustertal trieb eine Ziege zum Markt. Unterwegs wollte er kurz in der Kirche Andacht halten und band die Geiß außen fest. Sie konnte dem herannahenden Wolf entkommen, und dieser lief in das Gotteshaus. Der verängstigte Bauer flüchtete auf den Turm, ergriff das Glockenseil und ließ sich daran herunter.

Die Angst vor Wölfen war so groß, dass man sie nicht einmal beim Namen nannte: "Wenn man den Wolf nennt, kommt er g'rennt". Es gab Tabunamen wie "Gottes Jagdhund", "Untier", "Räuber" oder "Dieb". Die ungebetenen Gäste wurden erschlagen, auf Treibjagden erlegt oder mit Ködern in Wolfsgruben gelockt, aus denen es kein Entrinnen gab. Jäger, die einen "Schafdieb" erschossen hatten, konnten diesen bei der Herrschaft abliefern und erhielten Prämien. Um die "Räuber" von den Siedlungen abzuhalten, sangen die Priester seit mindestens 1580 bis zur Zeit Kaiser Joseph II. nach der Christmette im Stephansdom den Wolfssegen "in einem absonderlichen Tone unter Läuten der großen Glocke". Wölfe lebten damals in der Stadt und ihrer Umgebung. Ortsbezeichnungen wie Wolfsschanze, Wolfersberg oder Wolf in der Au erinnern daran. In Simmering und Auhof hatte man als raffinierte Fanganlagen, "Wolfsgärten", angelegt. Als dieser 1614 erneuert werden sollte, sah man wegen der hohen Kosten davon ab. Außerdem hätte man 1800 Baumstämme gebraucht, die bei anderen Projekten dringender benötigt wurden. Die letzten Wölfe im Wienerwald wurden 1835 und 1846 erlegt. Als sie in den Lainzer Tiergarten eindrangen, wurde eine Hofjagd genau geplant. Dabei gab Erzherzog Franz Karl, der Vater Kaiser Franz Josephs, den entscheidenden Schuss ab.

Nicht nur prominente JägerInnen lernt man in dem Buch kennen, sondern auch namentlich bekannte und ausgestopfteTiere. Der 1896 erlegte "Villnösser Wolf" befindet sich präpariert im Forschungszentrum SFZ in Hall in Tirol. Im Lavanthaus in Wolfsberg steht ein Exemplar, das gar nicht bedrohlich wirkt. Auch im Linzer Museum gab es zwei ausgestopfte "letzte Wölfe". Im Zeitalter der aufkommenden Fotografie galt es als Sensation, die JägerInnen und ihre Jagdbeute im Atelier abzulichten. 1909 erschoss die 20-jährige Friederike Bohuslav, eine oberösterreichische Försterstochter, in Enns einen Wanderwolf. Die Waidmänner wollten der jungen Frau nicht glauben, und taten ihre Beute als Hund ab. Der vom Jagdherren Prinz Hohenlohe beauftragte Präparator identifizierte das Tier als Wolfsrüden. Die "Jaga-Fritzl" in langem Kleid und Pelz, posierte mit dem Gewehr in der Hand, den toten Wolf zu ihren Füßen, als Postkartenmotiv.

Der Kärntner Jäger Paul Steinbauer, der im Dienst des Grafen Henckel-Donnersmark stand, erlegte 1914 eine sechsjährige Balkanwölfin. Postkarten zeigen ihn mit dem "Lavanttaler Bauernschreck". "Die Wolfsjagden waren oft Medienereignisse, zu denen neben Jägern auch zahlreiche Schaulustige aus ganz Österreich anreisten, was den Tourismus einzelner Regionen … ankurbelte. … Aus der Berichterstattung konnte … ein wirtschaftlicher Gewinn erzielt werden … Selbst auf der Grazer Frühjahrsmesse wurde der "Bauernschreck" zu einer Besucherattraktion." Die "Unterkärntner Nachrichten" widmeten ihm einen Nachruf: "Du lieber armer Bauernschreck, nun bist du - leider! - wirklich weg. … Fahr wohl denn, Meister Isegrim, Was du verbrochen, war nicht schlimm …"