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Cristina-Estera Klein, Birgit Lahner, Silvia Ungersböck#

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Cristina-Estera Klein, Birgit Lahner, Silvia Ungersböck: Botanische Spaziergänge. 11 Routen durch die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte. Falter Verlag Wien. 224 S., ill., € 29,90

Es ist nicht leicht, über Wien etwas Neues zu erzählen. Das wissen Buch-AutorInnen so gut wie FremdenführerInnen. Kreativität ist gefragt - und vorhanden. Für die Austria Guides for future bedeutet " K. und k." soviel wie Kultur- und Klimaschutz. Von Berufs wegen kennen sie sich mit der Vergangenheit und Gegenwart gut aus; sind aber vor allem an der Zukunft interessiert. Sie pflegen den Dialog mit Institutionen und Initiativen, die im Umwelt- und Klimaschutz aktiv sind und vermitteln auf ihren Touren viel Wissenswertes.

Cristina-Estera Klein tut dies als Guide in deutscher, spanischer und englischer Sprache. Sie ist Mitautorin eines Buches über Wien, das wirklich Neues bringt. Birgit Lahner liebt Pflanzen. Nach dem Studium der Angewandten Pflanzenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur ist sie als freie Autorin und Workshopleiterin tätig. Die weit gereiste Illustratorin Silvia Ungersböck studierte an der Akademie der bildenden Künste. Ihre gleichermaßen exakten wie künstlerischen Abbildungen geben dem Buch eine spezielle Note.

Es enthält elf Spaziergänge, welche die historische Kenntnis konkreter Orte mit botanischem Wissen verknüpfen. So kann man die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte bequem entdecken. Wien und der Wein sind seit langem eng verbunden. Die mittelalterliche Stadt verdankte dem Getränk ihren Aufschwung zum bedeutenden europäischen Zentrum. Damals erstreckten sich die Rieden über weite Teile des heutigen Stadtgebiets, und noch immer machen sie ein Fünftel seiner Fläche aus. Die Sortenvielfalt hat sich zu Gunsten der Qualitätskriterien reduziert. Die ertragreichen, doch sauren "Gebirgsweine", die man vor mehr als 100 Jahren mit Wasser vermischt trank, und andere historische Sorten kann man heutzutage bei einem Heurigen am Bisamberg verkosten. Der kleinste Weingarten Wiens befindet sich mitten in der City, auf dem Schwarzenbergplatz. Prominente Persönlichkeiten besorgen die Lese und versteigern die wenigen Flaschen, welche die Ernte ergibt, dann für karitative Zwecke.

Geht man die Stadtwildnis weiter bis Heiligenstadt, so trifft man eine Menge unscheinbarer Pflanzen, die sich in Nischen und zwischen Pflastersteinen ansiedeln, wie Hirtentäschel, Nelkenwurz, Löwenzahn oder Vogelknöterich. Doch auch Götter- und Kaiserbäume und sogar ein Stadtwäldchen (in der Sensengasse) lassen sich in den Innenbezirken entdecken. Ein besonders interessantes Kapitel nennt sich Historische Märkte und ihr pflanzliches Angebot. Zahlreiche Straßennamen erinnern an die einstigen Plätze des Einkaufs unter freiem Himmel und in der barocken Kupferstichserie "Der Kaufruf von Wien" sind die VerkäuferInnen verewigt.

Seit damals ist städtisches Grün eine Wiener Spezialität. Das Kapitel zeigt: Historische Gartenanlagen sind rückblickend immer einem Wandel unterworfen. Die Parkanlagen der Adelssitze bildeten in den Vorstädten einen grünen Gürtel um die Stadt. Barocke Gärten wie beim Belvedere, Schwarzenbergpalais oder der Botanische Garten der Universität geben einen Eindruck davon. Das Glacis vor der Stadtmauer, das aus militärischen Gründen unverbaut blieb, verwandelte Kaiser Joseph II. in ein Freizeitareal für alle. Es verschwand mit dem Fall der Basteien. Bei der Anlage der sie ersetzenden Ringstraßenzone entstanden großzügig gestaltete freie Flächen wie der Stadtpark, kleinere Grünanlagen und Alleen. Schon damals machten, ganz ohne Autos, gestresste Stadtbäume den Gärtnern Sorgen.

Die Rundwanderung durch Hietzing ist eine der Touren im Angebot der Austria Guides for future. Mit dem Buch kann man sich einen Vorgeschmack holen und in Gedanken durch den 13. Bezirk spazieren. Hier gibt es besonders viel zu sehen - versteckte Naturdenkmäler oder frequentierte Ziele wie Schönbrunn, wo der Botanische Garten und der Schlosspark zum Besuch einladen. Das Cottageviertel in Währing und Döbling feiert heuer sein 150-Jahr-Jubiläum. (Aus diesem Anlass ercheint ein eigenes Buch.) Die Cottage-Idee kam als soziale Bewegung aus England. In Wien war der Ringstraßenarchitekt Heinrich von Ferstel ihr Promotor. Villen mit Gärten sollten je ein bis zwei Familien gesundes und komfortables Wohnen ermöglichen. Gemeinsam geplant und doch Individuell, entstanden bald die ersten 50 Objekte. Zum Ensemble zählt der Türkenschanzpark als stilvoller "Volkspark". In dem Landschaftsgarten sind 400 einheimische und exotische Arten von Gehölzen zu bewundern, darunter ein Mammutbaum und eine Araukarie. Eine Besonderheit des Buches sind die Beschreibungen der einzelnen Spezies in ihrem historischen Kontext und mit Anekdoten.

Auf dem weiteren Weg zum Wertheimsteinpark und Setagayapark auf der Hohen Warte erinnert man sich in der Döblinger Hauptstraße an die in der Zwischenkriegszeit erfolgreichen Gartenbauschulen für Frauen. Nr. 60 betrieb Paula Fürth, eine der ersten promovierten Botanikerinnen Österreichs, ihre Gärtnerei und "Döblinger Gartenbauschule". Nr. 85 hatte Grete Salzer das "Hortensium" eingerichtet, wo Mädchen und Burschen eine Gartenbaulehre absolvierten. Vorbild war das Institut von Yella Hertzka in der nahe gelegenen, von Josef Hoffmann gestalteten, Kaasgrabenkolonie.

Die Zwischenkriegszeit behandelt auch die nächste Wanderung Sozialer Grünraum und Streuobstwiese. Sie führt von Neuwaldegg über den Heuberg zum Kongresspark. Äpfel gelangten in der Antike über die "Seidenstraße" vom Kaukasus zu den Griechen und Römern. Im frühen Mittelalter spielten die Klöster eine entscheidende Rolle im Obstbau. Als dessen "goldenes Zeitalter" gelten die Jahrzehnte zwischen 1770 und 1890. Damals legte der Pomologe Franz Josef Märter, im Auftrag Kaiser Franz II./I,, in der Schönbrunner Allee einen Obstgarten mit 500 Sorten an. Die Reiser kamen aus Paris und wurden dann an interessierte Wiener weitergegeben. Wald- und Landschaftsgärten lassen sich auf einer Exkursion über den Dehnepark und die Steinhofgründe bis zum Schwarzenbergpark entdecken. Dieser war der erste Landschaftsgarten Österreichs und der größte Europas.

Für die Wanderung durch die Lobau empfiehlt sich Insektenschutz. Doch sie lohnt sich, besonders wenn die Orchideen blühen. Schließlich führen die Autorinnen zu Bachsbaum, Wiese und Trockenwald nach Rodaun, entlang der Liesing, in das Gütenbachtal und zur Himmelswiese. Man kann sich kaum einen viel versprechenderen Höhepunkt vorstellen. Nicht nur wegen des Namens, sondern auch wegen der faszinierenden Vegetation.

Wir wollen unsere Leser*innen neugierig machen und zum näheren Hinsehen inspirieren. Dabei ist uns das respektvolle Agieren mit der Umwelt ein besonderes Anliegen. Vielleicht lassen sich beim Erwandern der botanischen Stadtgeschichte sogar Erkenntnisse für die Gestaltung der Zukunft gewinnen, schreiben Cristina-Estera Klein und Birgit Lahner. Bei der Auswahl ihrer Routen haben sie die perfekte Mischung aus gemütlichen Stadtspaziergängen und fordernden Wanderungen durch die naturnahen Zonen der äußeren Bezirke gefunden. Zu jedem Ausflug gibt es praktische Hinweise, am Ende ein aufschlussreiches Glossar und Literaturangaben. Die gegenständlichen Zeichnungen von Silvia Ungersböck sind weit mehr als Dekoration. Fernab der gängigen Foto(Shop)-Illustrationen erinnern sie an Zeiten, als Künstler in Blumenportraits die Wertschätzung für Pflanzen zum Ausdruck brachten. Die Autorinnen teilen dieses Anliegen und vermitteln es auf perfekte Weise.

hmw